30•04•2017 ••

Das große Loslassen

Gerade eben hatten wir sie noch auf dem Arm, haben sehnlichst die Heimkehr des Partners erwartet, um mal wieder Ruhe vor dem dauernden MAMA-MAMA-MAMA zu haben, schon steht man am Flughafen, um das gefühlt noch kleine Kind  für ein Vierteljahr in die Welt zu schicken.

So passiert vor einem Monat. Unser erstes Kind ist weg (wir haben zwei) und ein kleiner Vorgeschmack, wie es sich anfühlt, wieder ohne Kinder zu sein, ist da.  Zugegebenermaßen: Ich hatte ein bisschen Übung. 

Unsere Älteste hat vor zwei Jahren schon ein Auslandsjahr in Amerika gemacht. Und da hatte ich das erste Mal seit langer, langer Zeit wieder ein Gefühl wie Liebeskummer in mir. Damals habe ich mich die ersten drei Monate gequält, denn auf einmal war das Cosy-Familienleben, das wir trotz aller üblichen Nervereien so hatten, ein anderes.

Aber ich konnte mich ja trösten, denn erstens hatten wir Skype-Termine, in denen wir ihr mit Rat und Tat (und dem tollen Gefühl, gebraucht zu werden) zur Seite stehen konnten, und zweitens wussten wir: Sie kommt wieder.

Dieses Mal fühlt es sich endgültiger an. Unsere Bitten, regelmäßig Whats-App zu schreiben, wurden mit einem „dasstresstmichnur“ schlicht und einfach als unmöglich abgetan, und nach ihrer Heimkehr ist der nächste Auslandsaufenthalt gleich wieder in greifbarer Nähe. Ich übe mich also im Loslassen.

Zuerst einmal die gute Nachricht: Scheinbar kann man es wirklich üben, denn anders als beim ersten Mal hat es mich dieses Mal nicht in ein tiefes Loch gerissen. Und die Tatsache, dass unsere zweite Tochter noch zu Hause ist (wenn auch gedanklich nur noch halb, sie wird bald 17), erleichtert den Prozess des Lernens doch etwas.

Die schlechte Nachricht: Ich habe Zeit, die ich leider nicht nur sinnvoll nutze, sondern auch mit Grübeln und Resümee ziehen verbringe. Puh - Resümee ziehen hatte für mich immer etwas mit alt werden zu tun. Tja, und das ist jetzt der Punkt: Gefühlt bin ich auf einmal 10 Jahre älter, die Tochter kommt wunderbar alleine (!) in Kambodscha, Laos und Vietnam zurecht, besser, als ich es auf meiner Alleintour im Alter von 30 Jahren durch Asien je konnte! 


Was also tun gegen das Empty-Nest Syndrom?


1. Geteiltes Leid ist halbes Leid:

Viele Menschen sind gerade in der gleichen Situation. Wir (die Babyboomer) haben alle auch so ziemlich gleichzeitig die Kinder bekommen. Auf einmal haben wir wieder Zeit, uns mit Freunden zu treffen, wir können Gespräche zu Ende führen, das heißt: Wir sind wieder Menschen, die ohne Störungen am sozialen Leben teilnehmen können.

 

2. Beruflich wieder Gas geben:

Ist einfacher gesagt als getan. Auch bei mir, obwohl ich immer als Grafik-Designerin gearbeitet habe und damit nicht in die Mütterfalle getappt bin. Na ja, da draußen wird nicht auf einen gewartet. Auch hier heißt es also, sich ein neues Netzwerk aufzubauen. Oder gegebenenfalls denen vom Arbeitsamt auf die Nerven zu fallen, mit Fragen nach einem Wiedereinstiegsprogramm.

 

3. Der Partnerschaft wieder mehr Raum geben:

Auch wenn diese Rechnung nicht immer aufgehen muss, eins ist schon mal klar: Ein Streitpunkt – das Thema Erziehung – fällt weg. Wir haben das Thema Städtereisen für uns wiederentdeckt und stellen da wirklich fest, dass uns die Kinder überhaupt nicht fehlen. Ist ja wenigstens schon einmal ein Anfang!

 

4. Hobbys:

Klingt nach Kastanienmännchen im Altersheim basteln, muss es aber nicht sein. Ich stürze mich noch mehr auf das Thema Sport, habe jetzt zusätzlich zu meiner Lauf und Yogagruppe noch eine TRX-Gruppe gefunden und genieße es, nach dem Sport hin und wieder noch in Ruhe ein bisschen reden zu können, ohne schlechtem Gewissen, den Kindern gegenüber.

 

5. Freundschaften mit kinderlosen Paaren sind wieder möglich: 

Nicht nur möglich, sondern auf einmal können wir uns von diesen Paaren eine Menge abschauen. Manchmal ertappe ich mich sogar dabei, etwas neidisch zu sein. Neidisch darauf, dass denen diese Krise erspart bleibt.

 

6. Mehr Verständnis für die eigenen Eltern entwickeln: 

Nachdem jetzt auch unsere Erziehungszeit abgelaufen ist und auch wir sehen, dass AUCH UNS die große Liebe, die wir unseren Kindern gegenüber empfinden, nicht davor bewahrt hat, Scheiss-Fehler zu machen, können wir in unseren Eltern endlich die Menschen sehen, die sie sind. Frei von inneren Vorwürfen.

 

7. Einfach nichts: 

Ja, richtig. Akzeptieren, dass es so ist und schauen, was es mit einem macht. Auch das gehört ja im Leben dazu.

 

8. Dankbarkeit:

Das Mantra, das ich mir täglich vorsage, wie schön es doch ist, dass unsere Kinder in der Lage sind, ein selbständiges Leben zu leben, und unsere ältere Tochter auch schon damit angefangen hat, wirkt langsam nach…

 

8. Blogartikel schreiben:

Wären die Kinder noch klein, würde ich diesen Artikel nicht schreiben. Ehrlich gesagt sind mir die ganzen bloggenden Mütter mit ihren perfekten Wohnungen und ihren perfekten Essen sowieso ein Rätsel. Ich habe immer mehr ums Überleben gekämpft :))

 

Und wie heißt es so schön? In jeder Krise steckt eine Riesenchance. Also schaun wir doch mal ... 

Schreibt mir doch, wie ihr so mit diesem doofen EN-Thema (Empty-Nest) umgeht. Ich bin gespannt.

PS: Inzwischen ist unsere Tochter wieder da. Aber LOSLASSEN ist ja noch viel schwieriger wenn sie um einen rum sind. GRRMMPFH

Kommentare

Lillewind
23•10•2017
Wunderbar! Das passt wieder so gut! Auch, wenn ich kein Kind um Ausland habe, muss ich mich sehr im Loslassen üben. Das kommt tatsächlich so plötzlich. Auch ich hatte sie gerade noch im Arm und war froh, die Haustür zu hören, wenn mein Mann abends nach Hause kam! Ja, und Loslassen ist wahrscheinlich nicht einfacher, wenn sie um einen herum sind.... ;-) ganz liebe Grüße Iris
FTF, Uli Heppel
24•10•2017
Liebe Iris, da Sabine, die den Artikel geschrieben hat, gerade eine kleine Auszeit nimmt, antworte ich dir auf deine netten Worte. Mein kleiner Mann (14) hat sich diesen Sommer von einem Auslandsaufenthalt zum nächsten gehangelt. Und mir fiel das Loslassen am Bahnhof oder Flughafen immer total schwer. Und dann muss man da auch noch supercool und keinesfalls "peinlich" sein. Ich hab dann immer im Auto noch ein Tränchen abgedrückt. Das heißt, mir fällt das Loslassen noch superschwer. Keine Ahnung ob Sabine Recht hat und man sich daran gewöhnt. Kann ich mir gerade schwer vorstellen. Ich wünsche dir einen schönen Tag. ♡ Uli

Wir freuen uns auf deinen Kommentar

*Markierte Felder sind erforderlich • Deine Email-Adresse ist nicht öffentlich sichtbar.

Ausführliche Informationen zur Datensicherheit findest du in der Datenschutzerklärung.

nach oben