28•06•2020 ••

Es ist Zeit ...

... für eine Verbraucherrevolution.

Corona hat viel Leid in die Welt gebracht, aber auch viel Klarheit. Gerade bewegt uns der Skandal um die Tönnies-Schlachthöfe und nie haben wir deutlicher die Missstände gesehen, die gerade in der fleischverarbeitenden Industrie in Deutschland herrschen. Nie aber war uns aber auch klarer, dass wir alle zu diesen Zuständen unseren Teil beitragen. Denn wer Fleisch im Supermarkt kauft, dessen Kilopreis unter dem einer Honigmelone liegt, dem muss bewusst sein, dass er ein krankes System unterstützt. ​

Katarina Schickling, Journalistin, Dokumentarfilmerin, Sachbuchautorin und Gründerin des Blogs meinkonsumkompass, hat sich schon lange vor Corona eingehend mit allen Widrigkeiten unserer Konsumwelt auseinandergesetzt und jetzt ein äußerst lesenswertes Buch darüber geschrieben, wie wir alle durch unser Einkaufsverhalten vieles verändern können. Und darüber, wo der Gesetzgeber handeln sollte.

Der Konsumkompass, erschienen bei Mosaik.

Wir haben Katarina interviewt, um euch einen kleinen Einblick in dieses wirklich sehr informative Buch zu geben und uns mit ihr darüber unterhalten, welch einmalige Chance Corona uns allen für eine nachhaltigere Zukunft bietet.

 

**FTF: Was waren für dich neue und wirklich überraschende Erkenntnisse aus der Recherche für dieses Buch?

Also, ich glaube, am überraschendsten war für mich, festzustellen, dass Plastik nicht automatisch böse ist. Dass es durchaus eine ganze Reihe von Anwendungen gibt, bei denen Plastik möglicherweise sogar die bessere Wahl ist als Papier. 

Die zweite Erkenntnis war für mich, dass in den Medien sehr oft eine Sau durchs Dorf getrieben wird. Einfach deshalb, weil die Meldung so schick ist. Also etwa „Bio ist gar nicht so gut“ oder „der Pappbecher ist doch ganz in Ordnung“ oder so. Und wenn man sich das dann genauer anschaut, stellt man aber fest, dass da gerade sehr geschickte Vermarktungsstrategien aufgesetzt werden.

Und damit hängt auch mein dritter Punkt zusammen: Ich war überrascht, wie schwierig es ist, überhaupt Ökobilanzen herauszufinden. Als ich angefangen habe zu recherchieren, dachte ich: Kann ja nicht so schwierig sein. Und ich habe dann festgestellt, dass es für viele Produkte überhaupt keine Ökobilanz gibt oder sie hochkompliziert zu erstellen ist. Oder bis jetzt einfach noch niemand geguckt hat.


Wir Verbraucher werden von der Politik total im Stich gelassen mit unserem Bedürfnis, es richtig zu machen.


Weil wir in aller Regel oft gar nicht die Informationen zur Verfügung gestellt bekommen, die wir bräuchten, um bewusste Konsumentscheidungen zu treffen.
Und meine einfachste Lieblingserkenntnis: Man muss den Deckel immer vom Joghurtbecher abreißen, sonst nutzt das ganze Recyceln nichts, weil der Becher dann auf jeden Fall in der Restmüllverwertung landet. Das schafft keine Sortiermaschine. Ein einfacher Tipp, den ich seitdem auch ganz konsequent anwende.

**FTF: Einer deiner Schlusssätze aus deinem Buch: Wir haben verstanden, dass zur Rettung der Erde auch Verzicht gehören wird. Auf was fällt es dir denn am schwersten zu verzichten?

Flugreisen! Mir ist bewusst geworden, dass ich auf jeden Fall viel weniger fliegen muss, als ich das jetzt tue. Dieses spontan mal für ein Wochenende an irgendeinen exotischen Ort zu reisen, hat mein Leben schon sehr bunt gemacht. Die Welt wird ja durchs Fliegen sehr klein. Sonst würde man halt für ein Wochenende kaum weiter als Regensburg kommen. Und so ist Neapel genauso gut erreichbar.

Ich habe mir jetzt vorgenommen, nur noch zu fliegen, wenn ich an meinem Reiseziel länger bin und es anders nicht zumutbar ist.


Weniger zu fliegen ist für mich wirklich ein großer Verzicht, denn anderswo war für mich immer der schönste Ort.


Schon als kleines Mädchen bin ich wahnsinnig gerne unterwegs gewesen. Insofern ist das tatsächlich ein großer Verzicht und ich versuche, mir den jetzt so verträglich zu machen wie möglich. 

Ich fahre beruflich möglichst viel mit dem Zug, auch wenn das für mich als freie Autorin durchaus ein Problem sein kann. Beispiel: Wenn ich dienstlich nach Berlin muss und da zwei Termine habe, dann kann ich das mit dem Zug in aller Regel eigentlich nicht an einem Tag machen. Wenn ich jetzt also nicht fliege, bedeutet das für mich, dass ich nur einen Tag bezahlt bekomme, obwohl ich zwei Tage unterwegs bin. Da würde ich mir vom Gesetzgeber Unterstützung wünschen: Dass zum Beispiel der Flug so viel teurer ist, dass auch einem Auftraggeber einleuchtet, dass er meine zweitägige Reise bezahlen muss. Schlicht, weil es auch für ihn kostenmäßig nicht mehr attraktiv ist, mich fliegen zu lassen. 


Eine wichtige Erkenntnis für mich war aus dem Buch, dass wir zwar auf der einen Seite Dinge tun können und auch verzichten können, um die Welt zu retten, wir aber auf der anderen Seite an vielen Stellen auch einfach viel mehr Regelungen bräuchten, die umweltschädliches Verhalten tatsächlich bestrafen und ein umweltfreundliches belohnen. 


**FTF: Dazu passt auch unsere nächste Frage: Unsere Erde hat ja auch abseits von Corona gerade viele Probleme. Wenn du eine Entscheiderin in der Politik wärst, was würdest du als Allererstes angehen?

Ich glaube, es ist das Thema Mobilität, an das wir am unmittelbarsten ran können.
Die Corona-Krise jetzt ist auch eine große Chance. Wir nehmen jetzt gerade als Gesellschaft so viel Geld in die Hand, um unsere Wirtschaft zu fördern. Und ich glaube, dass wir da jetzt an vielen Stellen steuern können. Das ist sogar eine Chance für unsere Wirtschaft, wenn wir sie jetzt zukunftsfähig umbauen. 

Ich nehme mal das Beispiel Auto:

Ist es sinnvoll, dass wir  an ganz vielen Stellen den Autoverkehr überproportional subventionieren im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln? Thema Parkplatz: Also mir steht in München-Schwabing zwar kein eigener Parkplatz zur Verfügung, aber ich zahle der Stadt im Jahr ungefähr 30 Euro, damit ich mein Auto vor der Tür parken darf. Der Unterhalt eines solchen Parkplatzes kostet aber ungefähr 1500 Euro. Das heißt, im Grunde genommen subventionieren diesen Parkplatz alle Steuerzahler, auch die, die gar kein Auto haben. Irgendjemand hat mal ausgerechnet, dass wir Parkplätze bereithalten in der Flächengröße des Saarlands. Ist das nicht absurd? In Japan beispielsweise muss ich bei einem Autokauf nachweisen, dass ich einen Stellplatz habe. 

Wenn ich also die realistischen Kosten meines Autos zahlen müsste, dann würde es sich vielleicht gar nicht mehr lohnen, ein eigenes Auto zu haben. Dann würde ich vielleicht Carsharing-Angebote nutzen. Und wenn ich dann mal in Urlaub fahre, mir ein Auto mieten. Im Moment lohnt sich das nicht. Ich habe das für mich durchgerechnet und im Moment bin ich an einem Punkt, wo ich sagen muss: Der Autoverzicht wäre ein Verlustgeschäft.


Würde ich aber an vielen anderen Stellen zahlen müssen, was das Auto wirklich kostet, dann würden viele Leute gerade in Städten darüber nachdenken, ob sie wirklich ein eigenes Auto brauchen.


Thema Homeoffice:

Die Arbeitgeber hatten ja immer Angst, dass ihre Mitarbeiter im Homeoffice nicht arbeiten. Jetzt stellen sie gerade fest: Es geht ja eigentlich ganz gut. Für die Ökologie wäre es bestimmt eine Chance, wenn Menschen einen Tag weniger die Woche die Straßen verstopfen würden. Die Menschen gewinnen Zeit und wir gewinnen Spielräume. Vielleicht würden ja dann auch nicht mehr so riesige Büroflächen benötigt werden, und wir hätten mehr Platz für Wohnungen. 


Ich glaube, dieser Schnellkurs in Sachen Digitalisierung, den wir gerade durchgemacht haben, hat uns viele Wege aufgezeigt, wie wir die Zukunft nachhaltiger gestalten können.


Das hoffe ich zumindest.

 

**FTF: Was war dein letzter Luxus, den du dir geleistet hast?

Mein letzter richtig krasser Luxus war eine Reise nach Uganda im vergangenen November. Wir haben einen alten Studienfreund besucht, der dort arbeitet, und eine richtige Safari gemacht. Davon hab ich mein Leben lang schon geträumt und das hat sich auch gelohnt. Davon hab ich jetzt gerade, wo man nicht reisen kann, so gezehrt. Ich denke da so oft gerne dran.

Das Thema Fernreisen hat ja auch zwei Seiten. Ein großer Teil des Wohlstandes, der in Entwicklungsländern inzwischen stattfindet, hat auch damit zu tun, dass da Menschen aus der sogenannten Ersten Welt hinkommen und ihr Geld ausgeben. Ein Teil der Entwicklung, auch der Gesellschaften, hat bestimmt auch mit diesem Austausch zu tun. 

Und umgekehrt lernen wir auch, wie privilegiert wir eigentlich leben. Insofern fände ich es ganz falsch, wenn wir sagen würden: Niemand darf mehr reisen und alle müssen immer daheim bleiben. Ich glaube, dass dieser interkontinentale Austausch unheimlich wertvoll ist. Es kann nicht die Lösung sein, dass jetzt jeder in seinem Kleinen bleibt. Aber es kann zum Beispiel schon eine Lösung sein, dass wir Waren kaufen und konsumieren, die zu Hause erzeugt worden sind. 


Ich finde, es ist wichtiger, dass Menschen reisen als dass Lebensmittel reisen.


**FTF: Sag mal, kannst du überhaupt abseits von Lebensmitteln noch ohne schlechtem Gewissen Dinge konsumieren?

Ja. Also ich habe eine ganz, ganz große Ökosünde auf der Uhr. Ich bin eine leidenschaftliche Skifahrerin. Ich versuche, öfter mit dem Zug in die Berge zu fahren und lieber länger zu fahren und nicht tageweise. Aber mir ist natürlich bewusst: Da bin ich jetzt nicht auf der ökologischen Seite.

Ich glaube aber auch, dass man verrückt wird, wenn man das jetzt die ganze Zeit an jeder Stelle mitdenkt, denn der Alltag muss noch zu bewältigen sein. Und ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass ich an ganz vielen Stellen Dinge besser machen kann, ohne dass mein Leben dadurch unkomfortabler wird.


Man kann auch nachhaltig konsumieren und das kann richtig Spaß machen.


Zum Beispiel habe ich in allen Taschen so kleine Beutel, in die ich Obst und Gemüse packen kann. Und auch immer einen Stoffbeutel dabei. Eine Riesen-Verbesserung für mich, weil ich mich zu Hause nicht mehr ärgere, wenn ich den Plastikberg entsorgen muss. Und ich habe unheimlich Spaß daran, noch mehr Fahrrad zu fahren, als ich früher schon gefahren bin. Ich habe mich jetzt sogar dran gewöhnt, auch bei Regen zu fahren. Mein Leben ist dadurch schöner geworden. 

Ich will gar nicht mehr so viel haben. Wenn ich etwas Neues kaufe, muss dafür irgendwas anderes weg, denn mein Haus ist schon voll. Mein Sohn und ich stellen oft Stücke, die wir nicht mehr brauchen, auf einen Stromkasten vor unserer Tür, und meistens sind die Sachen nach einem halben Tag weg. Dann freue ich mich.

Alle Fotos von Katarina © Michael Jungblut

**FTF: Dieser rote Anzug ist unheimlich cool ... Wie sieht es bei dir zum Thema Kleidung aus?

Ich habe definitiv zu viel, denn dieses Glücksgefühl, wenn ich ein schönes, neues Kleid habe und mich dann schön fühle, ist für mich nur durch wenig zu toppen. Bei Schuhen funktioniert das übrigens auch.


Aber ich bin auch ein ganz großer Fan von Secondhand-Kleidung.


Es gibt unheimlich viele Läden, die extrem hochwertige, superschöne Stücke haben. Die bekommen bei mir ein zweites Leben und das gibt ein gutes Gefühl. Diese tollen Läden gibt es überall in Deutschland und meistens werden sie mit unheimlich viel Herzblut geführt, von coolen Frauen, die mit einem guten Geschmack schöne Sachen aussuchen und weiterverkaufen. Und das ist nun wirklich nachhaltig und sinnvoll.

Vielen Dank Katarina für das tolle Interview.


Wir haben Katarina noch nach Tipps für coole Secondhand-Shops gefragt. Hier kommen ihre Tipps:

Margrets Secondhand in Stuttgart 
Dòr in Hamburg
Secondo Berlin
Secondhand Schwabing in München


Und wer noch mehr zum Thema nachhaltiger Konsum lesen will, der bekommt Katarinas Buch in jedem örtlichen Buchhandel:

Der Konsumkompass, erschienen bei Mosaik, 20 € oder via genialokal, einer Plattform, die den örtlichen Buchhandel unterstützt.

 


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Kommentare

Ulrike Hartwig
05•07•2020
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass weniger Reisen dazu führt, dass man länger davon zehrt. Wir waren im Januar mit dem Zug in Paris und sagen immer wieder, wie schön es war und gut, dass wir es gemacht haben. Früher haben wir viele Flugreisen gemacht und wussten am Ende des Jahres gar nicht mehr, was wir alles gemacht haben.
Katarina Schickling
12•07•2020
Liebe Ulrike, so geht es mir auch! Gerade während der Corona-Zeit habe ich so oft an Venedig und Uganda gedacht... mein Vorsatz: Lieber länger am Stück und nicht so oft. Liebe Grüße, Katarina

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