27•04•2023 ••

FTF Die Buchstaplerin #26 - Mütter

Jedes Jahr am zweiten Wochenende im Mai wird der Muttertag gefeiert und jedes Jahr frage ich mich, ob diese Tradition überhaupt noch zeitgemäß oder eher ein ausgedientes Klischee ist. Begonnen hat der Muttertag 1870 in den USA als Friedensinitiative, um eine weltweite Gemeinschaft im Kampf gegen den Krieg zu schaffen. Heute wird der Muttertag in über 40 Ländern gefeiert und es scheint offensichtlich ein großes Bedürfnis zu sein, die Leistungen der Mütter wenigstens einmal im Jahr zu honorieren. Für mich verbergen sich dahinter zu viele Rollenklischees und Vorurteile über Mütter und Väter, die doch das ganze Jahr einen großartigen Job machen – und das zum Glück immer mehr auf Augenhöhe!

In der Literatur wird das Bild der „liebevollen und aufopfernden“ Mutter nicht mehr so verklärt und die verschiedenen Aspekte von Mutterschaft finden hier ihren Platz, laden zum Schmunzeln, Nachdenken und Diskutieren ein.


Eine unterhaltsam witzige Zeitreise in die 50er-Jahre einer turbulenten und chaotischen Familie erzählt Shirley Jackson in ihrem Kolumnen-Roman „Krawall und Kekse“ (Arche Verlag; Übersetzung: Nicole Seifert). Ursprünglich hatte die Autorin Familienkolumnen für Zeitschriften verfasst, um ihr eigentliches Schreiben von Schauerromanen zu finanzieren. Shirley Jackson lebte schon vor 70 Jahren den Spagat zwischen Beruf und Familie, zwischen Familienalltag und Selbstverwirklichung und so sind ihre Beobachtungen frisch, frech, lebensnah und bittersüß. Sie erzählt von den Höhen und Tiefen einer Familie, der Suche nach einem neuen Haus mit Mann, zwei Kindern und 5000 Büchern, von Schulsorgen, echten und erfundenen Freundschaften, Koch-, Back- und Haushaltsabenteuern, einer Fledermaus-Jagd, Einkauftrips mit den Kindern  und von den Herausforderungen eines Führerscheins. Ehrlich, auf den Punkt gebracht und mit viel Witz, Selbstironie und Verstand erzählt, spürt man beim Lesen die Energie einer starken Frau, die ihren Alltag meistert und man vergisst dabei immer wieder, dass die Geschichten in den 50er-Jahren entstanden sind und genau das macht das Buch so zeitlos und fortschrittlich, ohne den Humor und die Unterhaltung zu kurz kommen zu lassen! 


Die Journalistin Dorothee Röhrig macht ihrer 2016 verstorbenen Mutter mit „Du wirst noch an mich denken“ (dtv Verlag) eine besondere Liebeserklärung, ohne die zeitweise äußerst schwierige Mutter-Tochter-Beziehung zu verklären. Beim Stöbern in einer alten Kiste findet die Autorin ein Foto von ihrer Mutter und sich selbst, das sie sehr berührt, und sie stellt sich die Frage, wer ihre Mutter Barbara wirklich war. Als Tochter von Hans von Dohnanyi verlor sie mit 18 ihren Vater, der von den Nazis als Verräter hingerichtet wurde. Barbaras Mutter Christine musste zudem noch den Tod ihrer beiden Brüder Dietrich und Klaus Bonhoeffer sowie ihres Schwagers Rüdiger Schleicher verkraften und um ihr eigenes Leben fürchten. In ihrem Buch erzählt Dorothee Röhrig sehr persönlich vom außergewöhnlichen Leben ihrer Mutter und ihrer Großmutter, von den Traumata, die die Familie über Generationen begleiten und von ihren eigenen Schwierigkeiten, mit der Bürde eines großen Namens klarzukommen. Schicht für Schicht kommt sie beim Schreiben einer Mutter näher, die seit ihres Lebens distanziert, kontrolliert und wenig emotional war, versöhnt sich auch mit deren schwierigen Seiten und setzt den Frauen der Familie, die zu wenig Beachtung bekommen haben, ein literarisches Denkmal!


Wie ein guter Sohn liebt auch Michel Bergmann seine Mutter Charlotte heiß und innig, aber sie kann ihn auch den letzten Nerv kosten. In „Mameleben oder das gestohlene Glück“ (Diogenes Verlag) erzählt er die Geschichte seiner jüdischen Familie, von Flucht, Verfolgung und Holocaust, aber auch vom Weiterleben nach dem Krieg, wo sich seine Mutter immer wieder an die neuen Gegebenheiten anpassen musste. Es war ein fremdbestimmtes Leben voller Entbehrungen, das Charlotte zu einer starken und eigenwilligen Frau voller Widersprüche werden ließ. Michel Bergmann schreibt offen von seinen Schwierigkeiten mit seiner Mutter, die schnell beleidigt, erdrückend, übergriffig und distanzlos sein konnte, aber zwischen den Zeilen spürt man die Liebe, Nähe und Verletzlichkeit, die die beiden verbunden hat. Mit leichtfüßigem Ton, jüdischem Humor und viel Liebe arbeitet er die Beziehung zu seiner Mutter auf und erzählt dabei eine berührende Geschichte, die unter die Haut geht!


Ein eher unbekanntes Stück deutscher Geschichte beschreibt die norwegische Autorin und Journalistin Trude Teige in ihrem ergreifenden Roman „Als Großmutter im Regen tanzte“ (Fischer Verlag; Übersetzung: Günther Frauenlob), in dem sie auf zwei Zeitebenen die drei Lebensgeschichten von Großmutter Tekla, Mutter Lilla und Tochter Juni miteinander verknüpft. Juni sucht Zuflucht im Haus ihrer verstorbenen Großeltern auf einer kleinen, norwegischen Insel, um sich vor ihrem gewalttätigen Ehemann zu verstecken. Dort entdeckt sie ein Foto ihrer Großmutter als junge Frau Arm in Arm mit einem deutschen Soldaten. Wer ist der Mann und welche Bedeutung hatte er für Tekla? Juni macht sich auf die Suche, die verschwiegene Geschichte ihrer Familie aufzudecken und die Spur führt sie von der deutschen Besatzungszeit in Norwegen bis nach Mecklenburg-Vorpommern, wo sich im Mai 1945 eine Tragödie zugetragen hat, als die russische Armee nach Westen vorgerückt ist. Sie erfährt von Otto, der ersten großen Liebe von Tekla, ihrer gemeinsamen Flucht nach Deutschland und von dem unerbittlichen und schrecklichen Alltag in der Nachkriegszeit. Trude Teige gelingt auf beeindruckende, behutsame Weise deutsch-norwegische Geschichte und verdrängtes Unrecht lebendig werden zu lassen und erzählt gleichzeitig eine spannende Familiengeschichte und eine zu Herzen gehende Lovestory!


Eine Mutter-Tochter-Geschichte über Abhängigkeiten versus Freiheit beschreibt Katharina Höftmann Ciobotaru in ihrem Roman „Frei“ (Ecco Verlag). Die Künstlerin Billie ist Mutter zweier Söhne und Tochter von Christa, deren Wertesystem  geprägt durch die DDR  so ganz anders ist als Billies Vorstellungen von Freiheit und Unabhängigkeit. Billie ist laut, fordernd, kreativ, intensiv im Gegensatz zu ihrer Mutter, die strukturiert und rational ihre Emotionen unter Kontrolle hält und die sich mit Billie als Kind oft überfordert gefühlt hat. Die Autorin gibt Mutter und Tochter abwechselnd eine Stimme und der Begriff FREIHEIT zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Geschichte: FREIHEIT zwischen familiären Mutterpflichten und persönlichen Ausbrüchen, die neue FREIHEIT im Osten nach dem Mauerfall, Billies Rockmusik als Ausdruck von FREIHEIT, das Elternhaus als gelebte UNFREIHEIT und der Wunsch, dass sich die eigenen Kinder, FREI nach ihrem Charakter und ihren Ambitionen entwickeln können. Ein intensives, modernes Buch, das zum Nachdenken anregt, eigene Eltern-Kind-Beziehungen hinterfragt und Begriffe wie Freiheit, Emanzipation und Familie neu beleuchtet!


„Als Kinder haben wir uns ‘normale‘ statt migrantische Eltern gewünscht. Eltern, die weniger auffallen, die bei den Hausaufgaben helfen können oder die Spagetti statt Ceviche kochen. Wir wollten einfach dazugehören und das Geschenk zweier Kulturen konnten wir nur schwer wertschätzen. Erst als junge Erwachsene haben wir begonnen, stolz auf unsere zweite Kultur zu sein. Mit diesem Buch wollen wir uns bedanken. Diesen Stolz und diese Dankbarkeit wollen wir mit ganz Europa feiern.“



Die Autorinnen Melisa Manrique und Manik Chander haben in „Mama Superstar“ (Mentor Verlag) elf beeindruckende, liebevolle Mutter-Tochter-Portraits versammelt, in denen wir „Migrant Mamas“ aus der ganzen Welt mit den Augen ihrer Töchter kennenlernen dürfen. Da erzählt Susan von ihrer indischen Mama Mini, die in den 80er-Jahren mit ihrem indischen Mann nach Deutschland gekommen ist, hier drei Kinder großgezogen hat und es bestens geschafft hat, die Balance zwischen indischer und deutscher Kultur zu finden, um ihren Kindern das Beste aus beiden Ländern mitzugeben. Oder Julia beschreibt, wie ihre Mama Patricia ihren deutschen Mann auf der Skipiste kennengelernt hat und welche Schwierigkeiten sie mit der deutschen Pünktlichkeit und der schwäbischen Kehrwoche hat. Oder Mama Hyun-Ok Lee aus Südkorea, deren Töchter ihr größter Stolz sind und die sich noch heute über die unzähligen Regeln der Deutschen wundert. Begleitet wird jedes Portrait durch die farbenfrohen Illustrationen von Marta Pucci, Anekdoten unter den Rubriken „Tochter“, „Verblüfft“, „Berührt“, „Glücklich“ und „Nachdenklich“, einem persönlichen Aufruf der Töchter und einem Lieblingsrezept der Mütter. „Mama Superstar“ feiert ein rauschendes Fest der Kulturen und Vielfalt in Deutschland und ist eine Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt!


Viva la Mama!!



Was ist aber, wenn die Mütter älter werden, unsere Hilfe benötigen und die Rollen sich vertauschen? Sehr behutsam und feinfühlig erzählt die niederländische Autorin Fen Verstappen in „Lebenslektionen meiner Mutter“ (Dröschl Verlag; Übersetzung: Janine Malz) vom Zusammenhalt einer Familie nach einem schweren Schicksalsschlag. Jedes Jahr organisiert die Ich-Erzählerin zusammen mit ihrer Mutter, einer bekannten Designerin, und ihren Geschwistern einen Mode-Showroom in Paris. Alle sind perfekt aufeinander abgestimmt, jeder kennt seinen Platz und weiß genau, was zu tun ist. Doch dann passiert, womit keiner gerechnet hätte: Die Mutter bekommt eine Hirnblutung, fällt ins Koma und kann danach nicht mehr kommunizieren.


„Wie soll man alles wieder ins Lot bringen, wenn mit der Mutter eine ganze Familie untergeht?“


Nun beginnt für alle ein harter, steiniger Weg zurück in den Alltag: Neue Gegebenheiten müssen akzeptiert und Rollen neu verteilt werden, Familie und Beruf bekommen einen anderen Stellenwert. Wie die drei Geschwister zusammenhalten, der Mutter und sich gegenseitig Hoffnung und Zuversicht schenken und an der Herausforderung nicht verzweifeln, erzählt Fen Verstappen klug, manchmal fast philosophisch, ehrlich, liebevoll, sehr lebensbejahend und sie macht uns bewusst, wie zerbrechlich Glück sein kann! Wunderbar sind dabei die eingestreuten Lebenslektionen, die die Mutter ihren Kindern an die Hand gibt:


„Tanze. Egal ob du bei einem Festival, einem Abschlussball oder einem Kennenlerntreff mit den neuen Schwiegereltern bist, zieh die Schuhe aus, heb das Glas in die Luft und tanze, dass es eine wahre Wonne ist. (…) Tanzen macht das Leben leichter. Also geh in die Knie und schwing die Hüften.“


Wenn ihr neugierig auf die anderen „Lebenslektionen meiner Mutter“ seid: Wir verlosen auf Instagram drei Exemplare des Romans von Fen Verstappen.

Vielen lieben Dank an den Droschl Verlag!!


Tanzt durch den wunderbaren Wonnemonat Mai, genießt den Frühling, verschlingt einen schönen Schmöker und lasst es euch gut gehen!


Wir lesen uns!

Eure Buchstaplerin


 

 

 

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