27•03•2020 ••

Katarinas Konsumkompass

Es gibt eine neue Kolumne auf Fuck The Falten. Einmal im Monat wird Katarina Schickling, Journalistin, Dokumentarfilmerin, Sachbuchautorin und Gründerin des Blogs meinkonsumkompass uns künftig Anregungen geben, wie wir durch unser Einkaufsverhalten eine Verbraucherrevolution anstoßen können. 

Foto: Jakob Schickling


Los geht`s mit Katarinas Gedanken, was wir alle aus dem Corona-Shutdown lernen können.


KEINE DENKVERBOTE: WAS WIR AUS DEM CORONA-SHUTDOWN LERNEN KÖNNEN

Ich komme gerade aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie schnell wir bereit sind, unseren gesamten Lifestyle zu verändern. Unser gewohntes Verhalten komplett auf den Kopf zu stellen. Das könnte der Anfang sein von etwas viel Größerem.

Als Journalistin kenne ich das ja eigentlich: Das beherrschende Thema von gestern kann heute schon der totale Abschalter sein. Gerade eben noch haben wir uns alle gemeinsam intensiv um das Überleben unseres Planeten gesorgt. Und plötzlich sorgen wir uns nur noch um das Thema Corona, wobei „nur“ hier im Sinne von „ausschließlich“ zu verstehen ist, denn natürlich ist es gut, dass wir uns um die Gesundheit unserer Gemeinschaft sorgen.

Und doch finde ich es verblüffend:


Seit Jahren nehmen wir stoisch hin, dass unser Lebensstil erwiesenermaßen das Überleben unserer Art gefährdet, dass aber alle Maßnahmen, das nachhaltig zu ändern, nicht machbar sind.


Weil das Arbeitsplätze gefährdet. Oder sonst irgendwie schwierig oder irgendeiner Gruppe nicht zumutbar ist. Politisch nicht durchsetzbar. Die Corona-Krise zeigt uns gerade eindrucksvoll, was mit politischem Willen alles möglich und machbar ist. Vielleicht ein guter Moment, um daraus etwas zu lernen, für die Zeit nach Corona.

Positive Folgen von Corona

Ich verbringe viel Zeit in Italien, und selbstverständlich gehen mir die vielen Toten und Erkrankten und die schrecklichen Zustände im Gesundheitswesen nahe. Aber ich freue mich über gute Nachrichten aus Venedig:

Ich war im Herbst, während des Jahrhunderthochwassers, in der Lagunenstadt. Damals herrschte Konsens in der italienischen wie internationalen Presse, dass vor allem die Kreuzfahrtschiffe, aber auch der sonstige Verkehr beim Thema Hochwasser eine zentrale Rolle spielen. Und gleichzeitig war ebenso klar, dass diese wichtige Erkenntnis nichts ändern würde. Auch damals hätte die Politik selbstverständlich einfach entscheiden können, dass Kreuzfahrtschiffe nicht direkt bis in die Stadt fahren dürfen. Hat sie aber nicht. Bis Corona kam.

Nicht mal drei Wochen ist das öffentliche Leben in Italien heruntergefahren, und schon schwimmt in den Kanälen von Venedig ein Delfin. Kaum sind die Kreuzfahrtschiffe ausgesperrt und der Motorboot-Verkehr auf ein Minimum reduziert, ist das Wasser plötzlich so klar, dass man wieder bis auf den Grund sehen kann.

Shutdown als Chance

Auch mir machen die Folgen der Stilllegung des öffentlichen Lebens für unsere Wirtschaft Angst. Ich bin Freiberuflerin. Mir zahlt niemand ein Gehalt weiter, unabhängig davon, ob ich in meinem Homeoffice etwas Sinnvolles zu tun habe oder nicht. Ich habe viele Kolleg*innen, denen Aufträge wegbrechen. Auch ich kenne Mitarbeiter von Firmen, die sich rasant auf die Insolvenz zubewegen.


Dennoch: Ich hoffe, dass wir als Gemeinschaft aus dieser Situation lernen.


Ich war bei meinem Aufenthalt im November in Venedig erstaunt und insgeheim auch etwas beeindruckt davon, wie cool die Einheimischen in Gummistiefeln im Restaurant saßen, während das Wasser ihre Knöchel umspülte, und ihr Abendessen einnahmen, als ob gar nichts sei. Vielleicht ist das aber genau die falsche Geisteshaltung, nicht nur in der Lagunenstadt, sondern überall.


Warum akzeptieren wir eigentlich klaglos, dass es nicht möglich sein soll, grundlegend umzusteuern, um etwa die Klimaerwärmung aufzuhalten, wo wir doch gerade sehen, wie einschneidend die Politik in kürzester Zeit Rahmenbedingungen verändern kann, wenn sich der Notfall nur groß genug anfühlt?


Wieso brauchen wir dafür Corona? Warum tolerieren wir an vielen Stellen, dass Dinge falsch laufen, wo es doch offensichtlich gar nicht so unmöglich ist, Dinge anders zu machen, wenn man nur will?

Ich finde, die aktuelle Situation zeigt, dass sich die Politik ruhig trauen sollte, uns auch in Sachen Klimawandel künftig mehr zuzumuten. Ich bin ein großer Fan davon, dass wir alle Kleinigkeiten anders machen und dadurch viele kleine ein Großes ergeben. Noch mehr kann allerdings der Gesetzgeber bewirken. Wenn wir alle nächstes Jahr auf einen Langstreckenflug verzichten, fürs Klima, ist das dennoch nichts gegen das Abschalten eines einzigen Kohlekraftwerks. Wir lernen gerade, wie viel Konsumverzicht möglich ist.


Könnten nicht zugleich auch unsere Politiker bitte lernen, dass mutige Politik ebenfalls möglich ist?


Dabei geht es mir nicht nur um den Klimawandel: Ich arbeite gerade fürs ZDF an einem Film über Putenfleisch. Dabei bin ich auf mehrere Missstände gestoßen, die niemand in Frage stellt: Praktisch alle konventionell gehaltenen Puten etwa bekommen den Schnabel kupiert, weil sie sonst in den engen Ställen ihre Artgenossen blutig picken – obwohl diese Amputation im Tierschutzgesetz eigentlich verboten ist. Und noch immer werden in der Putenmast besonders viele Antibiotika eingesetzt – die ökonomisch mästbaren Rassen neigen zu Durchfall, weil ihr Darm so empfindlich ist, und wenn in einem Stall mit 5000 Puten eine erkrankt, müssen alle 4999 anderen auch behandelt werden, unabhängig davon, ob sie krank sind oder nicht.

Nun könnte der Gesetzgeber ja einfach dafür sorgen, dass das geltende Tierschutzgesetz nicht mit routinemäßig erteilten Ausnahmegenehmigungen umgangen wird. Oder, im Interesse von uns Menschen, verbieten, dass wichtige Reserveantibiotika in der Putenmast eingesetzt werden. Und wenn diese Regeln dazu führen, dass Puten nicht mehr so gehalten werden können, wie das im Moment üblich ist – nun ja … dann ist das eben so. Dann gibt es eben keine Schnäppchen-Schnitzel mehr, dafür aber auch keine geschundenen Tiere.


Wir sollten es wagen, größer zu denken!


Es gibt so viele Bereiche in unserem Leben, wo sich ein Umsteuern lohnen würde. Die Erkenntnis, dass man Krankenhäuser und Gesundheitswesen nicht nur durch die Brille der Wirtschaftlichkeit betrachten darf, ist dank Corona gesetzt, hoffe ich.


Aber schauen wir doch noch mal auf den Klimawandel, der unser Überleben viel stärker bedroht als Corona-Viren, nur eben nicht so plötzlich: Geht da wirklich nicht mehr?


Kurzstreckenflüge so hoch besteuern, dass sie unattraktiv sind, zum Beispiel? Den Straßenverkehr weniger subventionieren? Mehr Radwege, weniger Parkplätze? Eine Maut, die sich an den Kosten der verursachten Umweltschäden orientiert?

Der Zukunftsforscher Matthias Horx hatte letzte Woche einen sehr schönen, optimistischen Text darüber veröffentlicht (Anmerkung FTF: Wir haben ihn in unserem letzten Blogbeitrag verlinkt.),  wie die Welt nach Corona aussehen könnte. Ich würde da gerne noch etwas Draufsetzen: Jetzt, wo wir gelernt haben, wie radikal wir unsere Gewohnheiten in kürzester Zeit umstellen können …


... lasst uns alle größer denken. Mehr verändern. Uns. Die Welt. Die Politik.


Dank des Corona-Stillstands sind wir dem Erreichen der Klimaziele einen großen Schritt nähergekommen, unfreiwillig. Da geht noch mehr. Wir müssen es einfach nur tun.

 


Wer sich für Katarinas Arbeit interessiert, der findet auf ihrem Blog (Mein Konsumkompass) noch mehr lesenswerte Texte zum Thema Konsumverhalten.

Und hier geht`s zu einem Interview, das wir vor 2 Jahren mit Katarina geführt hatten. Thema: Was wir alle beim Lebensmitteleinkauf beachten sollten.

 

 

 

Kommentare

Alice
29•03•2020
Ein ganz toller Beitrag, der genau beschreibt, was wahrscheinlich viele von uns denken. Gezwungenermaßen haben wir unser Verhalten als Gesellschaft bereits geändert, viel davon kann die Politik fortführen bzw. ändern, wenn sie etwas mehr Mut hätte. Ich bin schon auf dem Weg - aber weder perfekt noch wird das reichen...
Katarina Schickling
26•04•2020
Vielen Dank :-)
Alice
29•03•2020
Ein ganz toller Beitrag, der genau beschreibt, was wahrscheinlich viele von uns denken. Gezwungenermaßen haben wir unser Verhalten als Gesellschaft bereits geändert, viel davon kann die Politik fortführen bzw. ändern, wenn sie etwas mehr Mut hätte. Ich bin schon auf dem Weg - aber weder perfekt noch wird das reichen...
Sabine K.
29•03•2020
Hallo Katarina! Generell bin ich sehr Deiner Meinung. Die Politik könnte mehr umsetzen als sie es bisher getan hat! Ich habe jedoch den Eindruck Du bedenkst nicht, dass die Auflagen im Moment teilweise mit "Polizeigewalt light" durchgesetzt werden...wollen wir das auch für z.B. Klimathemen? Und was auch sehr wichtig ist: Steuern auf Flugtickets, Maut, teures Fleisch, da artgerechte Haltung, wird dann auf dem Rücken der finanziell Schwachen ausgetragen... es ist und bleibt ein schwieriges Thema! Danke für den Denkanstoß! Bleib gesund.:-) Liebe Grüße Sabine
Katarina Schickling
26•04•2020
Nein, das wollen wir sicher nicht! Aber wir können das zum Anlass nehmen, mal genau zu überprüfen, welche Art von Konsum wirklich eine Art Grundrecht ist, und wo wir uns vielleicht auch einen Lebensstil angewöhnt haben, der nicht nachhaltig ist. Fleischkonsum ist da ein gutes Beispiel: Konventionelles Fleisch ist ja auch deshalb so billig, weil ein großer Teil der Kosten, die Massentierhaltung verursacht (Stichwort Nitratbelastung, aber auch andere Emissionen), über Abwassergebühren, Steuern etc von allen getragen werden und nicht an der Kasse beim Kauf von Fleisch beglichen werden. Oder Flüge: Allein durch den Verzicht auf die Besteuerung von Flugbenzin gehen uns als Volkswirtschaft Gelder verloren, mit denen wir die Billigflüge gewissermaßen quersubventionieren... Ich habe beim Lebensmittelcheck mit Tim Mälzer in der ARD vor ein paar Jahren mal einen Versuch betreut, wo wir eine Familie mit Hartz IV Budget nur Biolebensmittel haben kaufen lassen. Hat gut funktioniert - wenn man saisonal einkauft und weniger Fleisch ist...

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