30•05•2024 ••

Nein sagen

Viktor & Rolf haben das Thema »NO« in ihrer Fashion Statements Haute Couture Collection aufmerksamkeitsstark umgesetzt. Die Ausstellung ist noch bis zum 6.10.2024 in der Kunsthalle München zu sehen!

Nein sagen ist ein Ausdruck unserer Selbstachtung. Es signalisiert uns, dass wir unsere Grenzen, Werte und Bedürfnisse ernst nehmen und respektieren.

In der heutigen Zeit und Gesellschaft werden wir immer wieder ermutigt, angepasst zu sein und uns den Erwartungen anderer zu fügen. Wir sagen oft »Ja«, obwohl wir eigentlich »Nein« meinen. Diese Erfahrungen kennen wir alle und haben wir alle schon oft erlebt. Es gibt aber Augenblicke in unserem Leben, in denen ein »Nein« das wertvollste Geschenk sein kann, das wir anderen oder uns selbst machen können.

Dem Kapitel des »Nein sagen« haben wir in unserem Buch »Fuck the Falten – Wild bleiben statt alt werden« auch ein Kapitel gewidmet ...


Aus Fuck the Falten – Wild bleiben statt alt werden, erschienen bei Gräfe und Unzer

 

Nein sagen

Eigentlich hätte ich mich mal wieder in den Hintern beißen können. Meine Freundin Marlies ruft an und fragt mich, ob ich für eine spontane Party nicht noch kurz meine wundervollen Knusperoliven machen könnte. Die gingen doch so schnell. Ich habe gerade selbst irre viel um die Ohren und ein klares: »Nein, geht diesmal leider nicht«, wäre die einfach vernünftigste Antwort. Stattdessen kommt ein »Na klar, kann ich machen« über meine Lippen. Als ich aufgelegt habe, ärgere ich mich über mich selbst. 
Wieder mal, denn eigentlich habe ich weder Zeit noch Lust auf Knusperoliven. Und mal ehrlich, das passiert mir leider ziemlich oft. Ich sage Ja und meine Nein.


Warum ist es so schwierig für mich, anderen Menschen eine Bitte oder einen Wunsch abzuschlagen?


Dabei bin ich mir sicher, dass ich als Kleinkind das Nein-Sagen noch lange vor dem Ja-Sagen beherrscht habe. Ich glaube sogar, dass Nein im Alter von zwei Jahren mein Lieblingswort war. Außerdem habe ich doch ständig auch von meinen Eltern gehört: »Nein, tu dies nicht« und »Nein, lass das …« Nein, nein, nein. Und natürlich habe ich meinen Eltern ganz oft ein Nein entgegengeschleudert, wenn ich etwas nicht wollte. 
Aber wo und wann habe ich dieses wertvolle kleine rebellische Wort denn bitte verloren? Wann wurde denn aus dem bewussten »Nein, ich will das nicht« ein »Ja, okay?« Wann genau wurde es denn so schwierig?
Klar, als Heranwachsende entwickelte ich mich von Jahr zu Jahr mehr zur Ja-Sagerin. Oder sagen wir mal so: Die klassische, weibliche Sozialisation in meiner Generation hat mich dazu genötigt, möglichst die eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen. Immer zu helfen, wo Not am Mann oder der Frau war, lästige Jobs und Verpflichtungen zu übernehmen und im Zweifelsfall einfach immer Ja zu sagen.


Spannend wäre mal zu wissen, wie oft ich in meinem Leben Ja gesagt und Nein gemeint habe. 


Ich frage mich, welche Gedanken oder welcher Antrieb mich dazu gebracht haben, dass ich meine Grenzen nicht schützen konnte? Fiel das den Jungs genauso schwer oder war es wirklich wieder mal ein klassisches Frauenthema? Oder vielleicht nur mein ganz persönliches Thema? Hatte ich Angst, für eine egoistische Kuh gehalten zu werden oder dass mich tagelang ein schlechtes Gewissen plagen würde, wenn ich mal Nein sagte? Wollte ich einfach nur Konflikten aus dem Weg gehen? 
Denn man muss bei so einem Nein schon auch die Reaktion des Gegenübers aushalten können. Bei notorischen Ja-Sagerinnen wie ich eine war, kommt ein Nein für die anderen eben überraschend und wird dementsprechend kommentiert: »Was ist denn mit dir plötzlich los?«


Oder versorgte mich der Verzicht aufs Nein mit dem vordergründig wundervollen Gefühl, »gebraucht zu werden«? 


Letztlich haben mir eine kritische Situation und eine daraus resultierende Entscheidung geholfen, mich endlich zu einem »Nein, das mache ich nicht mehr« durchzuringen. 
Ich hatte das ganze Jahr über ohne große Pausen durchgearbeitet und einen Sommerurlaub mit meinem Sohn geplant. Ich war ausgebrannt und freute mich schon sehr darauf, mit ihm ein paar Tage wegzufahren. 
Als Selbstständige war es mir schon immer sehr schwer gefallen, mir freie Tage oder gar einen Urlaub zu gönnen – aus Angst, einen wichtigen Auftrag zu verpassen oder gar einen Kunden zu verlieren. 
Meine Selbstständigkeit, die mir auch immer ein Akt der Freiheit und Selbstbestimmung sein sollte, fühlte sich mittlerweile an wie die Fesseln eines festen Jobs – vielleicht sogar noch schlimmer, weil mich keiner zu etwas nötigte. Außer ich selbst. 
Der Urlaubstermin rückte näher und just eine Woche vor der Abreise kam die Anfrage für einen großen Auftrag. Ich stand vor der Entscheidung: Mache ich das oder sage ich den Job ab oder nehme ich … die tollste aller Alternativen … meinen Rechner mit in den Urlaub? Bescheuerte Idee – da kann man auch gleich zu Hause bleiben. 
Ich fragte mich also ganz ernsthaft: Was will ich? Was ist mir wichtig? Will ich die wertvolle Zeit mit meinem Kind tatsächlich einem auch wichtigen Job opfern – schließlich leben wir davon. Doch plötzlich war mir klar: Meine Antwort würde diesmal NEIN lauten! Natürlich mit der Angst im Hinterkopf, dass der Kunde verärgert abspringen könnte. Aber … das ist nicht passiert. Nichts derartiges ist passiert.


Auf einmal hatte ich ein unglaublich befreites Gefühl, wie die Erlösung von einer schweren Last, die sich in Luft auflöst. 


Ich bin mit meinem Sohn 14 wundervolle Tage lang durch Italien getingelt und habe es geschafft, mit dieser Entscheidung für mich meinen Job komplett auszublenden. Kein schlechtes Gewissen, keine unnötigen Gedanken an die Arbeit, einfach Quality-Time mit meinem Kind und mit mir.
Neben dem wundervollen Gefühl der Freiheit, das mir mein Nein beschert hatte, habe ich in diesen Tagen auch über meine bisherigen Entscheidungen in meinem Job und die daraus resultierenden Konsequenzen nachgedacht. 
Bewusst wurde mir dabei: Immer, wenn ich Ja sagte und dabei aber Nein meinte, sagte ich vermutlich Ja zu etwas für mich Unwichtigen und Nein zu etwas für mich Wichtigen: Ein Ja zu etwas, was ich nicht oder nur bedingt mag, bedeutet fast immer automatisch ein Nein zu etwas, was ich liebe. Das waren in diesem Lernprozess sicher meine wichtigsten Erkenntnisse. 
Der nächste Schritt bestand darin zu lernen, wie ich auch weiter angemessen Nein sagen könnte. Oft hat mir dabei geholfen, dass ich mir Zeit verschafft habe, wenn ich spontan zu einem Ja genötigt werden sollte.


Ein »Darüber muss ich mal kurz nachdenken«, hat mich meist vor einem spontanen und vorschnellen Ja bewahrt. 


Ich glaube, ich hatte früher einfach nicht das Selbstbewusstsein, Nein zu sagen. Wobei es hier sicher noch mal zwischen beruflichen Kontakten und Freunden zu unterscheiden gilt. Letztlich hatte es bei mir aber immer mit einer übertriebenen Angst vor einem Beziehungsabbruch zu tun – sei es nun auf der geschäftlichen oder zwischenmenschlichen Ebene. Dabei musste ich mir irgendwann eingestehen, dass ich nicht um jeden Preis eine Bindung zu Menschen bewahren muss, die nicht zu meinem engsten Kreis gehören. Und auch mal einen Bruch in Kauf nehmen, anstatt mich ständig ausnutzen zu lassen.
Mittlerweile habe ich es geschafft, das Wort Nein zu meinem Kooperationspartner zu machen. Irgendwann hatte ich eine müßige Honorardiskussion. Ich weiß, in der Vergangenheit wäre ich hier eingeknickt und auf das fast unverschämte Angebot eingegangen. Anschließend hätte ich mich geärgert, aber schlussendlich unter fadenscheinigen Ausreden für mich selbst den Auftrag angenommen. Diesmal hielt ich aber an meiner Forderung fest, auch auf die Gefahr hin, den Auftrag so vielleicht zu verlieren. Dieses »Nein, ich verhandle hier nicht weiter über meinen Preis« fühlte sich für mich so richtig an, dass es fast ein bisschen wie ein Adrenalinkick wirkte. 
Und welch Überraschung: Nachdem ich tagelang nichts gehört und den Auftrag auch schon abgeschrieben hatte, kam die Zusage per Mail. Ein Moment, der mir ein kleines, inneres Yeah-Gefühl bescherte. Okay, ein Nein war also auch hier ein Ja. Eine vielleicht entgegengebrachte Wertschätzung für eine klare Ansage. 


Je mehr Klarheit ich bei meinen Entscheidungen habe, desto leichter fällt es mir, diese auch mitzuteilen. 


Ein »Ja, ich mach das gerne für dich« ist die eine Möglichkeit, denn es macht mich glücklich, meinen Freunden oder meiner Familie zu helfen und ihnen damit eine Freude zu machen. Entscheidend ist dabei aber das Bewusstsein, die Zeit und die nötigen Ressourcen dazu zu haben und es deshalb auch mit Freude und Überzeugung zu tun. 
Genauso ist aber auch ein »Nein, ich möchte das gerade nicht« eine gute Entscheidung. Denn in einem solchen Moment habe ich entschieden, dass meine Energie dafür gerade nicht ausreicht und ich mich vielleicht auch um andere Dinge kümmern muss. Ein Nein ist dann das einzig Richtige, weil es mich schützt und mir Zeit und Energie gibt, mich auf genau das zu konzentrieren, was mir wichtig ist. 
Der nächste wirkliche Lernprozess war es nun, mein Nein nicht ständig zu rechtfertigen. Dabei habe ich mich nämlich sehr häufig ertappt. »Tut mir leid, ich kann dir gerade keine Knusperoliven backen, weil ich selber meinen Umzug vorbereiten muss.« Damit war ich sehr schnell in einer Überzeugungsspirale gefangen. Und beim Überzeugen gibt es immer einen, der den Kürzeren zieht. Entscheidend ist: Wer Nein meint, muss das auch klar sagen. Keiner möchte mit einem Vielleicht abgespeist werden, wenn die Absage schon feststeht. Schon alleine, um noch die Chance auf eine Alternative zu haben. Außerdem hilft so ein Klartext einem auch selbst, zur eigenen Entscheidung zu stehen.
Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich mir sicher, dass die mühsam erlernte Fähigkeit, einfach mal NÖ zu sagen, dann doch auch etwas mit gelebtem Leben und der dazugehörigen Erfahrung zu tun hat. All die angestauten JAs der letzten Jahrzehnte haben etwas mit mir gemacht. 
Aber irgendwann habe ich verstanden: Wenn sich für mich etwas nur wie ein »Ja, okay« anfühlt, dann ist meine Antwort Nein. Wenn es ein Ja werden soll, muss es ein Gefühl wie »Ja, will ich unbedingt und am besten gleich« sein. Dafür muss ich für mich wissen, was ist mir wichtig, was will ich. Ein Ja zu mir und meinen Entscheidungen macht die Neins dann plötzlich ganz leicht.


​»Nö! Einfach Nö.«


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