10•07•2023 ••
FTF Die Buchstaplerin # 28 – Taschenbuch-Sommer-Special
Es ist Sommmmmmmmer..., das ist ja auch nicht mehr zu übersehen. Und deshalb gibt es von unserer Buchstaplerin Corinne ein Taschenbuch-Sommer-Special mit ganz unterschiedlichen Lesetipps für euch. Denn Lesen ist doch eine der schönsten Urlaubsbeschäftigungen, oder? Dabei ist es ganz egal, ob wir das am Strand, am heimischen See, im Schwimmbad oder am Balkon tun. Wir versprechen euch, dass ihr ganz bestimmt mit Begeisterung in die eine oder andere Geschichte ein- und abtauchen werdet.
Den Buchmarkt ohne Taschenbücher kann man sich heute nicht mehr vorstellen.
In Deutschland war der Rowohlt Verlag Vorreiter in Sachen Taschenbuch: Er erhielt zwar nach dem Zweiten Weltkrieg eine Drucklizenz durch die Besatzungsmächte, aber Papier war ein teures und knappes Gut und die Verlagsleitung musste sich erfinderisch zeigen. 1946–49 wurden die ersten Romane auf billigem Zeitungspapier im Rotationsverfahren gedruckt, Ro-Ro-Ro Rowohlts Rotations-Romane fanden ihren Weg zu den Leser:innen und kosteten damals 50 Pfennig pro Buch. Ab 1950 produzierte Rowohlt dann die eigentliche Taschenbuch-Reihe im kleineren Format, die bis heute Bestand hat, und fand in vielen anderen Verlagen Nachahmer mit eigenen Taschenbuch-Reihen. Heute kann man davon ausgehen, dass ein Buch, das in Hardcover erschienen ist, innerhalb 1–2 Jahren als Taschenbuch herauskommt. Ich bevorzuge Taschenbücher vor allem im Sommer, wenn es in den Urlaub oder an den nächstgelegenen See geht, und so habe ich eine kleine Auswahl an neuen Taschenbüchern (mit einer Ausnahme) für euch zusammengestellt.
Unser Taschenbuch-Sommer-Special:
Um „Die Definition von Glück“ geht es in dem wunderbaren Roman von Catherine Cusset (Eisele Verlag; Übersetzung Sabine Schwenk) und um zwei weibliche Biografien von den 1980er- Jahren bis heute: Eve lebt ein bürgerliches Leben als Ehefrau und Mutter, ihre Familie gibt ihr Halt, sie liebt ihren Job, ist pflichtbewusst, ehrgeizig und kann mit Überraschungen und Veränderungen nur schwer umgehen. Clarisse hingegen ist wild, unabhängig, freiheitsliebend, unkonventionell, sexuell unabhängig und auf der ganzen Welt zuhause – sie wirft sich dem Leben entgegen, lässt sich treiben und ist auf der Suche nach der großen Liebe. Was die beiden Frauen verbindet, bleibt lange Zeit ein Rätsel und entblättert sich erst gegen Ende des Romans … Es ist faszinierend zu lesen, wie gegensätzlich die beiden Frauen agieren und wie unterschiedlich sie die Themen Liebe, Erotik, Ehe, Mutterschaft und Älterwerden in ihr Leben integrieren und damit umgehen. Mit feinem Gespür für die kleinen Alltäglichkeiten und Situationen, die unser Leben ausmachen, spiegelt der Roman gleichzeitig die großen Themen unserer Zeit wider. Catherine Cusset erzählt atmosphärisch und intensiv – sie versteht es, die Geschichte im richtigen Ton und Tempo voranzutreiben und gibt viele Denkanstöße, unser eigenes Leben in den Fokus zu rücken und unser persönliches Glück wertzuschätzen! Es ist ein Genuss, zwei moderne Frauen auf ihren Lebenswegen mit allen Höhen und Tiefen begleiten zu dürfen!!
Am 19.7. erscheint im Taschenbuch der intelligente Unterhaltungsroman „Unter Freunden“ von Cynthia D’Aprix Sweeney (Goldmann Verlag; Übersetzung: Nicolai Schweder-Schreiner). Für die Abschlussfeierlichkeiten ihrer Tochter Ruby ist Flora auf der Suche nach Kinderfotos – was sie stattdessen findet, ist der Ehering ihres Mannes Julian, sorgfältig in der Garage versteckt, wobei er ihn doch schon vor Jahren angeblich in einem See verloren hatte. Für Flora, die sich bis zu diesem Zeitpunkt glücklich verheiratet glaubte, bricht eine Welt zusammen, ihr Vertrauen in Julian ist zutiefst erschüttert. Von einem Moment auf den anderen stellt Flora alles in Frage: ihre Ehe, ihre Freundschaft zu Margot und David, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft … Es geht um Lust und Liebe, Hoffnung und Enttäuschung, berufliche Erfolge und Niederlagen, Krankheiten und Fehlschläge, Vertrauen und Zweifel, Überraschungen und Veränderungen und um das ganze pralle Leben. „Unter Freunden“ zu lesen ist wie eine Lieblingsserie zu schauen: Man lernt das Ensemble kennen und lieben, lebt und leidet mit allen mit, begleitet sie auf ihrem Weg und am Ende fällt der Abschied schwer und man trägt sie noch eine ganze Zeit im Herzen mit!
Um einen schillernden Antihelden und seine liebenswerte Familie geht es in dem farbenfrohen Italien-Schmöker „Terra di Sicilia“ von Mario Giordano (Goldmann Verlag): Barnaba „Nino“ Carbonaro wird 1880 auf Sizilien geboren, wo anarchische Strukturen und der frühe Tod des Vaters die Kindheit des Jungen bestimmen – aber er weiß sich stets zu helfen, schlägt dem Schicksal immer wieder ein Schnippchen und geht gewitzt und zielgerichtet seinen eigenen Weg, der ihn vom armen Analphabeten zum erfolgreichen Zitrushändler auf dem Münchner Großmarkt führt. Er zeugt vierundzwanzig Kinder, von denen die wenigsten überleben, ist immer auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit und spürt Zeit seines Lebens in sich die unstillbare Sehnsucht nach Anerkennung und Glück … Mario Giordanos großes Familienepos ist ein Schmöker vom Feinsten: politisch-geschichtlicher Hintergrund, vielschichtige Charaktere, eine imposante Geschichte mit unerwarteten Wendungen und die unbändige Fabulierlust des Autors bescheren wunderbare Lesestunden! Die perfekte Reisebegleitung für den Urlaub!
Im Mittelpunkt des Romans „Bergleuchten“ von Karin Seemayer (Aufbau Verlag) steht die waghalsige Entstehung des Gotthardtunnels, mit dessen Bau 1872 in Göschenen auf der Nordseite und in Airolo auf der Südseite begonnen worden ist. Vor dem Hintergrund dieses Mammutprojekts wird die Geschichte von Helene erzählt, die Tochter eines Fuhrhalters, der von den Pferdetransporten über die gefährlichen Serpentinen der Alpen lebt. Als das kleine Dorf durch die vielen italienischen Gastarbeiter anwächst und auch die Zukunft der Fuhrunternehmen in Frage steht, nimmt der Unmut in der Bevölkerung zu und es bilden sich feindliche Lager. In dieser schwierigen Stimmung verliebt sich Helene ausrechnet in den italienischen Mineur Piero, aber ihre Liebe steht unter keinem guten Stern und nach einem Streik wegen der unzumutbaren Arbeitsbedingungen im Tunnel muss Piero die Schweiz verlassen … „Bergleuchten“ ist ein gut recherchierter Historienschmöker über eine technologische Meisterleistung, der aber auch gleichzeitig die Schattenseiten des harten Bergarbeiter-Alltags beleuchtet und mit einer schönen Liebesgeschichte den Roman abrundet. Ein kurzweiliges Lesevergnügen und eine fesselnde Geschichtsstunde über den zu damaliger Zeit längsten Tunnel der Welt.
Auf jeden Fall wird man bei der nächsten Italienreise den Gotthardtunnel mit anderen Augen sehen!
„Es gibt Momente, die sich in die Ewigkeit erstrecken. Die schon Erinnerungen sind, während man sie lebt, weil man spürt, wie sie an einem Tag in der fernen Zukunft zupfen, einem Tag, an dem man an diesen Moment zurückdenkt.“
Eine feine Geschichte im Hier und Heute erzählt Franziska Fischer in ihrem Roman „In den Wäldern der Biber“ (DuMont Verlag): Job weg, Freund weg, der Großstadt überdrüssig besinnt sich Alina auf ihre Wurzeln und sucht Unterschlupf bei ihrem Großvater, der ein beschauliches Leben auf dem Land führt und den sie seit sehr vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Er erkennt die seelische Not seiner Enkelin, stellt keine unnötigen Fragen und heißt sie bedingsungslos willkommen. Endlich findet die junge Frau zur Ruhe und kann Ordnung in ihr Gedanken-Chaos bringen: Sie begleitet ihren Großvater in den Wald zu den Bibern, arbeitet in Haus und Garten, kocht ein, backt Kuchen und schließt neue, alte Freundschaften … „In den Wäldern der Biber“ ist ein Buch, in dem man Ruhe findet und das beim Lesen den Alltag außen vorlässt. Es geht um Beziehungen und Erinnerungen, aber auch um die Kraft der Natur, die uns erdet und uns zeigt, was wirklich wichtig ist. Unaufgeregt und in warmen Farben lässt Franziska Fischer ihre Leser:innen durchatmen, innehalten und Kraft tanken – eine kleine literarische Auszeit voller Lebenslust und Herzenswärme!!
Drei spannende Krimis im Taschenbuch-Sommer-Sepcial:
Urlaubszeit ist für mich auch immer Krimi-Zeit!
„Wenn ich dieses Haus verlasse, dann nur in Handschellen. Ich hätte weglaufen sollen, als ich noch die Möglichkeit hatte.“ So beginnt der perfide Thriller mit undurchschaubarem Personal „Wenn sie wüsste“ von Freida McFadden (Heyne Verlag; Übersetzung: Astrid Gravert und Renate Weitbrecht): Als die elegante Nina der mittellosen Millie einen Job als Hausmädchen anbietet, kann diese ihr Glück kaum fassen. Aber ihre Chance auf einen Neuanfang gestaltet sich recht schnell schwieriger als erwartet – Ninas einziger Antrieb scheint es zu sein, Millie das Leben schwer zu machen, und sie behandelt die junge Frau ohne jeglichen Respekt. Einzig Ninas Ehemanns Andrew zeigt Verständnis und hat immer ein offenes Ohr für Millie, was Nina mit Argusaugen und zunehmender Eifersucht beobachtet. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter Ninas unzurechnungsfähigem Verhalten? Welche Rolle spielt dabei Andrew? Millie ist sich sicher, dass hier irgendetwas nicht stimmt … Ein spannender Pageturner mit unerwarteten Wendungen und Twists, einer gruseligen Atmosphäre, vielschichtigen Charakteren und einer raffinierten Entwicklung – atemlos fliegt man von Kapitel zu Kapitel der Auflösung entgegen!!
Nicht nur für alle, die Urlaub am Wattenmeer planen, ist „Der Holländer“ von Mathijs Deen (Rowohlt Verlag, Übersetzung: Andreas Ecke) eine ganz besondere Krimi-Perle: Im Grenzgebiet zwischen Deutschland und den Niederlanden machen sich die beiden Wattwanderer Peter und Klaus zu einer waghalsigen Tour auf – sie wollen zu Fuß vom ostfriesischen Festland auf die Insel Borkum. Nur einer von beiden kommt lebend zurück, der andere trägt schwere seelische Schäden davon. Die Fundstelle der Leiche wirft Fragen auf, denn sie passt nicht zu den Strömungen der Nordsee. Und liegt die Leiche nun auf deutschem oder holländischem Gebiet? Die offiziell zuständigen Abteilungen sind sich darüber uneinig und so kümmert sich der inoffizielle Ermittler Liewe Cupido, mit Spitznamen „Der Holländer“, um den Fall – scheint er doch dafür als gebürtiger Deutscher mit Wohnsitz auf der niederländischen Insel Texel prädestiniert zu sein. Cupido ist wortkarg, eigenbrötlerisch und hat ein feines Gespür für die menschlichen Zwischentöne, die ihn mit viel innerer Ruhe auf die richtige Spur bringen … Mit einer feinen Prise Komik beschreibt Mathijs Deen das Zuständigkeitsgerangel zwischen deutschen und niederländischen Behörden, stimmungsvoll und lehrreich die Naturgewalt Watt und erzählt einen stimmigen, leisen Kriminalroman mit liebevoll gezeichneten Charakteren voller Ecken und Kanten!
„Jeder Idiot kann in einem Monat einen Krimi schreiben!“ lästert vor laufender Kamera die renommierte, aber leider erfolglose Schriftstellerin Hannah Krause-Bendix in dem dänischen Krimi „30 Tage Dunkelheit“ von Jenny Lund Madsen (Tropen Verlag; Übersetzung: Julia Gschwilm). Da es für die freche Aussage zu viele Zeugen gibt, muss sie nun liefern. Um sie zu inspirieren, schickt ihr Lektor sie zu einer Bekannten nach Island, ausgerechnet in der immer dunklen Jahreszeit und in eine winterliche Einöde, in der nichts zu passieren scheint. Aber vielleicht ist Island ja die geeignete Kulisse für den perfekten Krimi? Aus Hannahs Recherche und ihren ersten Ideen wird schon bald gnadenlose Realität: Der Neffe ihrer Gastgeberin wird unter mysteriösen Umständen tot am Meer gefunden, aber keiner scheint großes Interesse an der Ermittlungsarbeit zu haben und das Dorf hüllt sich in Schweigen … Der Hauptakteur des Romans, der 2021 zum besten Krimi Dänemarks gewählt wurde, ist die grandiose Landschaft Islands, die die Atmosphäre der Ereignisse perfekt widerspiegelt und die immer wieder Gänsehaut verursacht. Es ist ein stimmungsvoller Krimi mit einer spannenden Ermittlerin, die nicht immer sympathisch rüberkommt und die man trotzdem ins Herz schließen muss. Und wie parallel zu Hannahs Mördersuche ihr eigener Kriminalroman immer mehr an Form gewinnt, ist der besonderen Erzählkunst von Jenny Lund Madsen geschuldet!!
Und jetzt auf ans Meer im Taschenbuch-Sommer-Special:
Wer sich im Sommer eher nach leichter, entspannter Strandlektüre sehnt, der kann mit Josi und Paul „Immer am Meer entlang“ fahren und sich mit dem Roman von Franziska Jebens (dtv Verlag) eine frische Meeresbrise um die Nase wehen lassen. Josis größter Kindheitstraum ist es, mit einem alten Bulli Europas Küsten abzufahren, sie hat dieses Vorhaben schon seit Jahren geplant. Paul hingegen entschließt sich von heute auf morgen zu einer Auszeit, um dem grauen Alltag zu entfliehen und seinen Traum von Freiheit und Meer zu leben. Durch Zufall treffen sich die beiden zum ersten Mal in Frankreich, wo Paul eine Autopanne hat und Josis Hilfe benötigt. Von nun an kreuzen sich ihre Wege durch Europa immer wieder und mit der Zeit wird dem Zufall immer öfters nachgeholfen. Aber steht die zunehmende Anziehungskraft dem Traum vom „Allein-Reisen“ nicht im Weg? Beim Lesen kommen sofort Urlaubsgefühle auf: Einsame Strände, charmante Städtchen, romantische Sonnenuntergänge, spektakuläre Landschaften und kulinarische Finessen laden zum Träumen ein und man würde am liebsten sofort die Koffer packen und Richtung Süden aufbrechen!!
Unser „Nicht-Taschenbuch“ im Taschenbuch-Sommer Special:
Tutti al Mare!
Die Sehnsucht nach Meer wird auch in Alexander Oetkers „Sonntags am Strand“ (Atlantik Verlag) geweckt und die kleine Geschichte liest sich wie ein Sommertag an einem italienischen Strand: Es ist Ferragosto, der 15. August gilt in Italien als der heißeste Tag des Sommers – kein Wunder also, dass viele Italiener:innen ans Meer fahren. „Tutti al Mare!“ Im Bagno von Enzo an der italienischen Adria treffen die Tagesgäste ein, die er liebevoll umsorgt, mit Kaffee und Spagetti Carbonara verwöhnt und für die er immer ein offenes Ohr hat: Der Fischer Signor Conte, der den Sonntag an Enzos Bar verbringt und nur wenig Worte verliert. Das junge Liebespaar Felice und Alberto, deren Vorstellungen vom Leben meilenweit voneinander entfernt zu liegen scheinen. Bei David und Giulia, die mit ihren drei Kindern den Tag hier verbringen, kriselt es in der Ehe, weil Giulia sich überfordert und zu wenig wertgeschätzt fühlt. Und ihr Sohn Giacopo verliebt sich zum ersten Mal in seinem Leben in Caetana, die ihn mit ihrem offenen, wilden Wesen tief beeindruckt. Alexander Oetker ist ein feiner Beobachter, dem es gelingt, seine Leserschaft mitfiebern, mitlachen und mitleiden zu lassen und der die Liebe in jedem Alter und in all ihren Facetten feiert. Am besten, man genießt die berührende Geschichte mit einem Cappuccino, einem Aperol Spritz und einem leckeren Panino und träumt sich einen Tag ans Meer!
Dank Atlantik Verlag dürfen wir drei Exemplare des einzig gebundenen Buches dieser Kolumne auf Instagram verlosen: „Sonntags am Strand“ – da wollen wir doch alle sein, oder? ;)
Ich wünsche euch noch einen wunderbaren Sommer und macht es wie die kleine Feldmaus Frederick von Leo Lionni. Er sammelt Sonnenstrahlen, Farben und Wörter auf Vorrat, um die langen, grauen Herbst- und Wintertage gut zu überstehen.
Wir lesen uns!
Eure Buchstaplerin
So langsam rückt auch der Erscheinungstermin für unser neues Buch näher. Den 31.7.2023 habt ihr euch doch sicher schon alle mit Rotstift in euren Kalendern angestrichen, oder? ;-)
Signierte Ausgaben könnt ihr hier auch schon mal vorbestellen: Fuck the Falten Shop
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