05•03•2024 ••

Wie feministisch bin ich eigentlich?

Am 8.3. ist der Internationale Frauentag. Immer wieder stelle ich fest, dass manche Ansichten der nächsten Generation für mich schwierig nachzuvollziehen sind und das, obwohl ich immer von mir behauptet habe, Feministin zu sein. Zeit für mich, mir Gedanken zu machen, wie sehr doch ein verankertes Gesellschaftsbild jede Generation prägt und viele nur so fortschrittlich sein können, wie es die Welt um uns herum zulässt.

Ich bin jetzt 58 Jahre alt. Unbekümmert habe ich mit 20 behauptet, wir seien emanzipiert, die Gleichberechtigung vollzogen. Mir standen gefühlt alle Türen offen. Jeglicher Karriereweg schien möglich. Im Studium fühlten wir uns gleichbehandelt, obwohl der Blick zurück etwas anderes offenbart. 10 Jahre später, mit 30, sah die Realität schon ganz anders aus.


Ich bin Ende der 90er-Jahre in den Kreissaal gegangen, um ein Kind zu bekommen. Und Anfang der 50er-Jahre habe ich diesen wieder verlassen.


Das tradierte Familienbild war doch noch fest in unseren Köpfen verankert und so ging der schon zu Ende gewähnte Kampf um die Gleichberechtigung von vorne los. Wir träumten von der perfekten Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Haben wir Frauen uns nicht selbst behindert, weil wir überzogene Erwartungen an uns gestellt haben? Aufgrund unserer Erziehung, aber auch unserer Umgebung? Haben wir dem Feminismus nicht selbst dazwischengefunkt?

Kurz bevor meine ältere Tochter auf die Welt kam, träumte ich nachts von einem kleinen Mädchen mit braunen, langen Haaren, das auf einer Wiese saß und einen Margeritenkranz geflochten hat. W h a t ? Während ich als Kind ein eher burschikoses Mädchen war, träumte ich also jetzt kurz vor der Geburt meines ersten Kindes von einem mädchenhaften Mädchen. Warum? Kann ich nicht sagen, vielleicht waren es ja die Hormone. Denn eigentlich wollte ich meine Kinder nicht stereotyp erziehen. Wollte auf keinen Fall, dass meine Töchter dem klassischen Mädchenbild entsprechen. Aber ist das, so frage ich mich heute, nicht schon wieder ein Widerspruch in sich? Was ist schon mädchenhaft?


Fakt ist: Tatsächlich existieren und existierten Geschlechterklischees in meinem Kopf.


Klassisch mädchenhaft heißt für mich: lieb, nett, freundlich, hübsch, mitfühlend, leise, zart besaitet. Mit einem klassischen Jungen assoziiere oder assoziierte ich dagegen: frech, sportlich, kämpferisch, durchsetzungsstark. Reihe ich mich da nicht ein in die traditionalistische Aussage der österreichischen Regierung, die 2017 noch in ihrem Programm geschrieben hat: „Die Besonderheit beider Geschlechter macht den Mehrwert für die Gesellschaft sichtbar. Die Verschiedenheit von Mann und Frau zu kennen und anzuerkennen ist ein Bestandteil menschlichen Lebens und damit unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden.“


Auch wenn ich dieses Zitat reaktionär finde: Indem ich der Verschiedenheit entgegengearbeitet habe, habe ich diese letztlich ja doch auch anerkannt.


Ich wollte meine Töchter auf gar keinen Fall zu angepassten und braven Frauen erziehen, aber wenn sie sich daneben benommen haben, habe ich im besten Fall an ihre Empathie appelliert. Nicht selten habe ich gesagt: „Sei doch nicht so zickig.“ Dabei war es genau dieser Satz, der mich im Berufsleben immer wieder davon abgehalten hat, mich durchzusetzen und beharrlich bei meiner Meinung zu bleiben. Mit dem Attribut „zickig“ konnte man mich zum Schweigen bringen. Und jetzt versuchte ich genauso wieder, meine Töchter zur Räson zu bringen.

Uli hat einen Sohn und sie legt Wert darauf, ihm mitzugeben, dass er nicht dem klassischen Männerbild entsprechen muss. So ist ihr wichtig, dass Jungs Gefühle zeigen dürfen.


Während Uli noch erlebt hat, dass sich ihr Bruder größtenteils den Haushaltsaufgaben entziehen durfte, ist es für sie heute selbstverständlich, dass ihr Sohn alle Aufgaben, die im Haushalt anfallen, auch mit übernimmt.


Aber Uli meint auch, dass Jungs einfach nicht so kommunikationsbegabt wären. Und macht das auch daran fest, dass sich dies wie ein roter Faden durch ihre Verwandtschaft ziehe. Meine Frage, ob sie sich vorstellen könne, dass die häufige „Kommunikationsfaulheit“ der Männer auch ein Muster ist, an dem sich kleine Jungen orientieren, verneint sie. Auch sie hat offenbar, genau wie ich, festgelegte Geschlechterbilder im Kopf. 

 


Dass es eine Geschlechtsidentität gibt, haben viele in unserer Generation als gegeben hingenommen, denn unsere Gesellschaft war lange Zeit von einem binären Denken geprägt: Mann/Frau.


Dass es noch weitere Geschlechtsidentitäten gibt wie genderfluid oder non-binär war bis zu den Nuller-Jahren kaum Thema, auch nicht bei Menschen, die feministisch gedacht haben. Der moderne Feminismus hingegen kämpft für die Gleichstellung aller Geschlechter und sieht Geschlecht als ein Spektrum, das in vielen Abstufungen existiert. 

 

Und da bin ich jetzt wieder am Anfang der Geschichte:


Es ist Zeit, meinen gelebten Feminismus für mich neu zu definieren.


Denn erst jetzt hat der Feminismus für mich ein menschenfreundliches Ziel: Eine demokratische Gesellschaft, in der alle Geschlechter dieselben Chancen haben.

 


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Kommentare

Cäcilia Schütter
15•03•2024
Hallo, all diese Gedanken kann ich komplett nachvollziehen und erwische mich bei ähnlichen Überlegungen. Wirklich fast alles! Kinder auf der Wiese, mädchenhaftes Verhalten ... oh wei! Folgende Beobachtungen mache ich derzeit: Auf der einen Seite sehe ich viele junge Frauen sehr selbstbewußt - in Klamotten die Männerphantasien entsprungen sein könnten. Ist es emanzipiert sexy zu sein? Nein, ich bin nicht prüde, das ist nicht die Überlegung. Sondern die Außenwirkung auf die Umwelt. Dirndl (sorry, aber das geht für mich überhaupt gar nicht!) setzten alles der Frau in Szene das im alten Rollenbild gewünscht ist. Und ... obwohl Frauen heute selbstbewußter sind, wird häufig der Namen des Mannes angenommen. Das fiel mir besonders bei Sportlerinnen auf! Würde ein Mann der Erfolg hat seine "Marke" - also den sehr bekannten Namen wechseln? Werbung, Erkennbarkeit ... nix mehr da! Weg! Niemals behaupte ich und habe diese Beobachtung auch bisher noch nicht gemacht oder ignoriert !!! Danke fürs Lesen, nachvollziehen und Danke für eure vielen Inspirationen! Ihr seid mega!
FTF, Sabine Fuchs
25•03•2024
Danke liebe Cäcilia für deinen Kommentar und das Kompliment. Vermutlich ist es wirklich noch ein langer Weg, bis die alten Rollenbilder ausgedient haben :(

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